Beim Thema Resilienz in Organisationen müssen der Mensch, die Organisation und das Umfeld "zusammen gedacht" werden

Tier ohne Knie?
„Armer Pinguin! Wie kann ein Tier ohne Knie, das so unbeholfen an Land watschelt, überleben?“, das fragte sich der bekannte Arzt und Fernsehmoderator Dr. Eckart von Hirschhausen schon mehrfach in seinen Sendungen. Was diese Geschichte mit der Resilienz, also der Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen, in Organisationen zu tun hat, erklärte am Freitag, 18. Oktober, Dr. Petra Maaß, die Gründerin der dpm-Stiftung für seelische Gesundheit (Link öffnet sich in neuem Fenster/Tab). Das Institut für Technologie und Arbeit (ITA) in Kaiserslautern hatte für diesen Vormittag Führungspersonen, Organisations-Entwickler*innen und alle Interessierten zu einer Online-Informationsveranstaltung im Rahmen der Woche der seelischen Gesundheit eingeladen.
Unter dem Titel „Seelische Gesundheit am Arbeitsplatz – Die gestalterische Kraft von Organisationen zur Förderung organisationaler Resilienz“, erzählte Dr. Petra Maaß ihre persönliche Geschichte, aus der sich viele Aspekte organisationaler Resilienz herausfiltern ließen. Dr. Regina Osranek und der Vorstandsvorsitzende Dr. Harald Weber vom ITA gestalteten die Einleitung in das Thema. Mit der Veranstaltung wollten sie unter anderem darauf hinweisen, dass die seelische Gesundheit ein Querschnittsthema zwischen allen Lebensbereichen ist und Führung einen großen Einfluss auf die Resilienz in Organisationen hat.

„Setzt die Leute dort ein, wo sie in ihrem Element sind“
Das bestätigte Dr. Petra Maaß, die ihre eigene Lebensgeschichte erzählte. „Seelische Gesundheit bedeutet nicht, einfach nur zu funktionieren, sondern die Möglichkeit, selbst gestalten zu können und damit einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten“, sagte sie zu Beginn. Als Beispiel zitierte sie nochmal Eckart von Hirschhausens Pinguingeschichte: „Als der Pinguin aber zum Wasser watschelte und eintauchte, passierte etwas Erstaunliches: Dieses Tier war wie fürs Wasser gemacht – elegant glitt er durch das Element und alle Tollpatschigkeit an Land war wie weggeblasen.“ Das heißt im übertragenen Sinn für Organisationen: Setzt die Leute dort ein, wo sie „in ihrem Element sind“! „Auf Dauer können wir nur dann psychisch gesund bleiben, wenn wir so sein dürfen, wie wir sind, unsere Fähigkeiten nutzen können und uns nicht dauerhaft verbiegen müssen“, drückte es Petra Maaß aus.
Totaler Zusammenbruch und „eine gute Schwimmerin“
Als Tierärztin war sie 25 Jahre lang in großen Unternehmen als Product- und Technical Managerin angestellt. 2007 hatte sie einen Chef, der sie nahm wie sie war, sie hatte ein tolles Team um sich herum. Sie war „in ihrem Element“, der Fokus lag auf ihren Stärken. 2012 kam dann ein neuer Chef. Er setzte sie in Bereichen ein, die ihr nicht lagen, der Fokus lag auf einmal auf ihren Schwächen. Sie versuchte sich anzupassen, doch die Chemie stimmte einfach nicht. Durch das ständige „Verbiegen“ entwickelte sie im Laufe der Zeit eine depressive Störung. Eine Reha verbesserte zwar die gesundheitliche Situation, doch einen Arbeitsplatzwechsel traute sie sich nicht zu, auch weil damit ein Wohnortwechsel und so ein kompletter Neustart verbunden gewesen wären. Mit Eckhart von Hirschhausen gesprochen: Sie blieb in der Wüste. Und dann folgte 2019 der totale Zusammenbruch. Während dieser Zeit wurde Petra Maaß klar, dass sie anderen Menschen mit seelischen Erkrankungen helfen möchte. Deshalb gründete sie die dpm-Stiftung. „Jetzt war ich nicht nur im Wasser, ich wusste auch, dass ich gut schwimmen kann“, beschreibt sie die Arbeit bei der Stiftung.
Meetingmodell „50 plus 10“
Für Unternehmen hat sie konkrete Tipps, wie sie das Arbeitsumfeld für ihre Mitarbeitenden positiv gestalten können: „Ist der Termindruck, der gemacht wird, sinnvoll und für Mitarbeitende nachvollziehbar? Oder entsteht er nur, weil jemand in Urlaub geht? Gibt es genug Pausen? Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit dem Meetingmodell: 50 plus 10. Also 50 Minuten Meeting, 10 Minuten Pause, um sich zu sammeln. Probleme lassen sich gut besprechen bei einem „walk and talk“. Ein „Raum der Stille“ kann Mitarbeitenden einen Rückzugsort bieten nach schwierigen Situationen im Arbeitsalltag.“
Fairness und Kollegialität
Aus der Pinguin-Geschichte lässt sich herauslesen, wo Unternehmen Ansatzpunkte finden können: So hat beispielsweise die (empfundene) Fairness von Führungskräften den größten Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden der Arbeitnehmer*innen, weitere Faktoren sind das Ausmaß an Kollegialität und sozialer Unterstützung, sowie Wertschätzung. Weiter können Unternehmen die Selbstwirksamkeit ihrer Beschäftigten fördern, Gesundheit und Resilienz zusammendenken und das Thema in der Organisationsentwicklung berücksichtigen.
Balance zwischen Stabilität und Flexibilität
Aber auch die Organisationen selbst sind Herausforderungen ausgesetzt: Neue Gesetze, technologische Umbrüche, ein Unfall oder „schleichende Herausforderungen“ wie der demographische Wandel wirken auf die Unternehmen ein. Erfolgreiche Unternehmen weisen dabei einen „stabilen Kern“ auf, beispielsweise Kernkompetenzen, Kernsortimente oder eine stabile Finanzierung. Hier gilt es, eine Balance zu finden zwischen Stabilität und Flexibilität. Klar ist aber auch: Ohne individuelle Resilienz keine organisationale Resilienz!
Blogbeitrag vom 31.10.2024, Text und Fotos: Irina Kast